Volksabstimmung vom 9. Juni 2013, Dringliche Änderungen des Asylgesetzes: Statement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga

Bern, 25.03.2013 - Es gilt das gesprochene Wort.

1. Einleitung

Sehr geehrte Medienschaffende

Wer seit Jahren in der Schweiz auf einen Asylentscheid wartet,- wer seine Kinder hier einen guten Teil der Primarschule absolvieren sah, der empfindet eine Wegweisung am Ende des Verfahrens als unfair. Verständlicherweise. Es kann nicht sein, dass wir Menschen mit ihren Familien so lange im Ungewissen lassen. Es ist auch unfair jenen Schutzbedürftigen gegenüber, die schliesslich hier bleiben dürfen: Lange Verfahren und der Asylbewerberstatus verhindern eine rasche Integration. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Mit seiner Asylpolitik verfolgt der Bundesrat deshalb zwei vorrangige Ziele: Asylsuchende haben Anspruch auf ein faires, rechtstaatliches Verfahren, und sie sollen möglichst rasch einen Entscheid erhalten. Denn lange Verfahren verursachen hohe Kosten, führen zu Unterbringungsproblemen - und sie untergraben die Glaubwürdigkeit der Schweizer Asylpolitik bei der Bevölkerung.

Die dringlichen Änderungen des Asylgesetzes, über die wir im Juni abstimmen, sind eine wichtige Etappe auf dem Weg zu rascheren Verfahren.

2. Analyse Ist-Zustand

Asylverfahren dauern heute deshalb so lange, weil wir der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die verschiedenen Akteure, die in ein Asylverfahren involviert sind, arbeiten noch nicht effizient genug zusammen. Sobald eine neue Behörde in ein Verfahren eingreifen muss, entstehen Koordinationsprobleme. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn wir heute einen Asylsuchenden nach ein paar Wochen bereits einem Kanton zuweisen, weil es in den Bundeszentren an Plätzen fehlt, so müssen wir ihn danach zur Anhörung wieder umständlich aufbieten und ins Bundesamt für Migration reisen lassen. Gleichzeitig müssen wir einen Dolmetscher organisieren und jemanden von einem Hilfswerk aufbieten - denn die braucht es bei Anhörungen. In Zukunft befinden sich all diese Personen - inklusive Rechtsvertreter - schon von Anfang an am selben Ort wie die Asylsuchenden, was die Organisation und den Ablauf eines Verfahrens sehr vereinfacht.

3. Bedeutung der Abstimmungsvorlage im Hinblick auf Oberziel

Eine solche Neustrukturierung lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen. Damit wir dieses Ziel aber möglichst schnell erreichen, müssen wir die Vorarbeiten dafür rasch an die Hand nehmen. Einzelne Massnahmen können wir bereits jetzt umsetzen.

Genau dabei hilft uns die Abstimmungsvorlage. Die dringlichen Änderungen des Asylgesetzes sind Teil dieser tiefgreifenden Reform des Asylbereichs.

4. Testphasen

Ein Asylverfahren ist - wie erwähnt - ein komplizierter Prozess mit vielen Beteiligten: Neben Bund, Kantonen, Hilfswerken, Rechtsvertretung, Bundesverwaltungsgericht und Rückkehrberatung ist auch der Kontakt mit dem Herkunftsland und den Dublin-Staaten wichtig. Es gibt auch viele Schnittstellen. Deshalb ist es sinnvoll, neue Abläufe zuerst in der Praxis zu erproben, Erfahrungen zu sammeln mit der geänderten Zusammenarbeit, bevor die Neuerung flächendeckend eingeführt wird. Die dringlichen Massnahmen schaffen die gesetzliche Grundlage für solche Testphasen.

Wie Sie gehört haben, wird ein solches Testzentrum in der Stadt Zürich entstehen - sofern die Stimmberechtigten die dringlichen Änderungen im Juni annehmen.

Wir wurden im Parlament zum Teil kritisiert, die Testphase sei eine Art Black Box die dem Bundesrat zu viel Handlungsspielraum gibt. Meine Damen und Herren, von einer Black Box kann keine Rede sein. Wir haben inzwischen einen Verordnungsentwurf für die Umsetzung dieser Testphase erarbeitet, der detailliert festlegt, wie diese Testphasen ausgestaltet sein sollen. Zu diesem Verordnungsentwurf haben wir die zuständigen Kommissionen im National- und Ständerat konsultiert sowie die Kantone, Hilfswerke und politischen Parteien angehört. Die Anhörungen haben bis am 19. März gedauert und wir sind jetzt daran, diese auszuwerten. Ich kann Ihnen heute bereits sagen, dass wir von den Kommissionen wertvolle Anregungen bekommen haben, dass aber der Verordnungsentwurf insgesamt positive Rückmeldungen erhalten hat. Im Sinne der Rechtssicherheit in diesem sehr sensiblen Bereich, haben wir uns entschieden, eine sehr detaillierte Verordnung vorzulegen.

Die Verordnung regelt unter anderem,

  • dass den Asylsuchenden aus der Testphase weder Vor- noch Nachteile erwachsen dürfen;
  • dass der Aufenthalt im Zentrum nicht länger als 140 Tage dauern darf;
  • wie die neue Vorbereitungsphase, das beschleunigte Verfahren sowie das Dublin-Verfahren ausgestaltet sind;
  • und viele andere Punkte.

Dabei gehorcht diese Verordnung dem zentralen Prinzip: Eine Beschleunigung darf es nur mit entsprechenden flankierenden Massnahmen geben - einem ausgebauten Rechtsschutz, einer zielgerichteten Rückkehrberatung und einer guten Betreuung.

5. Weitere Punkte im Hinblick auf Oberziel: Unterkünfte, Sicherheitspauschale, Beschäftigung

Wenn nun künftig alle am Asylverfahren beteiligten Akteure am selben Ort oder zumindest ganz in der Nähe sind - und wenn der Bund künftig deutlich mehr Verfahren als heute selber durchführt und abschliesst, so bringt dies natürlich mit sich, dass der Bund mehr Plätze zur Unterbringung der Asylsuchenden benötigt. Und zwar deutlich mehr: 6000 Plätze statt wie heute unter 2000. Auch hier bildet die Vorlage über die wir im Juni abstimmen eine wichtige Etappe auf dem Weg dorthin, indem sie dem Bund vereinfacht, neue Unterkünfte in Betrieb zu nehmen. Dies entlastet die Kantone und war von ihnen gewünscht worden, weil sie dann weniger Asylsuchende bei sich aufnehmen müssen.

In rechtlicher Hinsicht setzten bisher das bestehende Raumplanungs- und das Baurecht einer raschen Umnutzung von Bundesbauten, zum Beispiel militärischen Anlagen, hohe Hürden. Hier hilft die neue Bestimmung, wonach der Bund die Kompetenz erhält, Bundesbauten zur Unterbringung von Asylsuchenden für maximal drei Jahre umzunutzen - ohne Zustimmung des Kantons oder der Gemeinde. Auch wenn wir rechtlich gesehen damit die Hürden massiv abbauen, um neue Unterkünfte beziehen zu können, wollen wir auch weiterhin, dass die Projekte auch von den zuständigen Gemeinden und Kantonen mitgetragen werden können. Das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Wichtig ist uns, dass die Bundesbehörden den Standortkanton und Standortgemeinden vorgängig konsultieren. Es liegt dem Bund viel daran, wenn immer möglich zusammen mit den Standortkantonen und Standortgemeinden einvernehmliche Lösungen zu finden. Denn Asylpolitik ist eine Verbundaufgabe. Bund, Kantone und Gemeinden müssen Hand in Hand arbeiten.

Als flankierende Massnahme kann der Bund den Kantonen mit einem Pauschalbeitrag deren zusätzliche Sicherheitskosten abgelten.

Die Vorlage enthält darüber hinaus wichtige Änderungen im Umgang mit Asylsuchenden: Zum einen können die Beschäftigungsprogramme für Asylsuchende ausgebaut werden. Das ist für die Betroffenen positiv und trägt ausserdem zu einem konfliktfreieren Aufenthalt in den Unterkünften bei. Wir haben beispielsweise im Tessin und auch in der vorübergehenden Bundesunterkunft Tschorren sehr gute Erfahrungen gemacht mit solchen Beschäftigungsprogrammen.

Zum andern können in Zukunft Asylsuchende in besonderen Zentren für Renitente untergebracht werden, wenn sie Konflikte auslösen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder den Betrieb der Bundeszentren erheblich stören. Diese Massnahme dient vor allem dem Schutz jener Asylsuchenden, die sich korrekt verhalten.

Bei diesen besonderen Zentren für renitente Asylsuchende, meine Damen und Herren, handelt es sich nicht um Gefängnisse oder Internierungslager, wie ich das jetzt mehrmals gehört habe. Es sind offene Einrichtungen. Hingegen kann man für die betroffenen Personen eine Eingrenzung verfügen - das heisst, dass sie beispielsweise die Region, in der das Zentrum liegt, nicht verlassen dürfen. Solche Eingrenzungs-Massnahmen müssen von der zuständigen kantonalen Behörde verfügt werden. Falls sich die Asylsuchenden dann nicht daran halten, können auch Sanktionen verhängt werden.

6. Bestimmungen, die nicht der Beschleunigung dienen: Abschaffung Botschaftsgesuche

Es gibt in dieser Vorlage über die wir im Juni abstimmen aber auch Bestimmungen, die nicht direkt der Beschleunigung dienen. Es gibt Bestimmungen, die den Zugang zum Asylverfahren betreffen.

So ist es nicht mehr möglich, bei Schweizer Vertretungen im Ausland, zum Beispiel bei Botschaften, ein Asylgesuch einzureichen. In der Vergangenheit haben viele Asylsuchende ihr Gesuch auf einer Schweizer Botschaft gestellt. Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das diese Möglichkeit überhaupt noch bietet. So wurden seit dem Jahr 2006 nach aufwendigen Abklärungen lediglich rund 11% der Personen die Einreise bewilligt. Von diesen erhielten dann nur 40% nach Ablauf des ordentlichen Verfahrens auch tatsächlich Asyl.

Dem Bundesrat ist und bleibt es weiterhin ein grosses Anliegen, dass Personen, die direkt an Leib und Leben gefährdet sind, in der Schweiz Schutz finden können. Sie können einreisen, wenn sie ein humanitäres Visum erhalten. Das humanitäre Visum wird von den zuständigen Behörden dann erteilt, wenn im Einzelfall offensichtlich davon ausgegangen werden muss, dass die betreffende Person im Heimat- oder Herkunftsstaat unmittelbar und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. Mit andern Worten: Wirklich bedrohte erhalten weiterhin den Schutz der Schweiz.

Anmerken möchte ich dazu noch Folgendes: Bisher wurden viele Botschaftsgesuche von Personen gestellt, die enge Familienangehörige in der Schweiz hatten. Anerkannte Flüchtlinge haben auch nach Annahme der Vorlage weiterhin Anspruch auf Familiennachzug für ihre Angehörigen. Der Familiennachzug bleibt also möglich, die Auslandvertretung stellt in diesem Fall ein Einreisevisum aus.

7. Bestimmungen, die nicht der Beschleunigung dienen: Wehrdienstverweigerer und Deserteure

Es gibt noch eine Bestimmung, die nicht direkt der Beschleunigung dient. Es geht um die Wehrdienstverweigerer und Deserteure. Die Vorlage präzisiert, dass Wehrdienstverweigerung und Fahnenflucht alleine nicht als Asylgrund anerkannt werden. Wehrdienstverweigerer und Deserteure erhalten aber weiterhin Asyl, wenn die Strafe, die ihnen im Heimatland droht, unverhältnismässig hoch ist und man davon ausgehen muss, dass sie verfolgt werden wegen ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihren politischen Anschauungen.

Das Parlament hat das deutlich gemacht, indem es im entsprechendem Gesetzesartikel festgehalten hat: die Einhaltung der Flüchtlingskonvention bleibt vorbehalten. Damit wurde deutlich zum Ausdruck gebracht: es gibt keine Einschränkung des Flüchtlingsbegriff. Und das ist auch richtig so

8. Fazit

Zusammenfassend kann ich also sagen, dass die Schweiz mit dieser Vorlage der Kernaufgabe ihrer Asylpolitik treu bleibt: Verfolgte Personen erhalten weiterhin den Schutz der Schweiz. Die Änderungen schaffen zudem die Voraussetzungen, um raschere Verfahren durchzuführen, die alle rechtstaatlichen Ansprüche erfüllen. Und diese Beschleunigung der Verfahren, die wir längerfristig anstreben, ist ein Gebot der Fairness auch den Asylsuchenden gegenüber.


Adresse für Rückfragen

Kommunikationsdienst EJPD, T +41 58 462 18 18



Herausgeber

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
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Letzte Änderung 18.12.2023

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