Indirekter Gegenvorschlag zur Unverjährbarkeitsinitiative - Bundesrat trifft Grundsatzentscheid

Bern, 01.11.2006 - Der Bundesrat erachtet die Volksinitiative "für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern" nicht als geeignet, um die Pädokriminalität wirksam zu bekämpfen. Er will aber das Anliegen eines verstärkten Kindesschutzes aufnehmen und deshalb dem Parlament einen indirekten Gegenvorschlag unterbreiten. Diesen Grundsatzentscheid hat er am Mittwoch gefällt.

Die Volksinitiative ist am 1. März 2006 von der Vereinigung "Marche Blanche" bei der Bundeskanzlei mit 119 375 gültigen Unterschriften eingereicht worden. Sie will in der Bundesverfassung einen neuen Artikel 123bis mit folgendem Wortlaut verankern: "Die Verfolgung sexueller oder pornografischer Straftaten an Kindern von der Pubertät und die Strafe für solche Taten sind unverjährbar."

Die Volksinitiative trägt nach Ansicht des Bundesrates nicht zur Verhütung und Verringerung pädophiler Straftaten bei. Sie bietet dem erwachsen gewordenen Opfer einzig die Möglichkeit, jederzeit sein Schweigen zu brechen.

Problematische Terminologie

Ferner ist die Terminologie der Volksinitiative äusserst problematisch. Der Begriff "pornografische Straftaten" würde zur Unverjährbarkeit der nach Art. 197 Strafgesetzbuch (Pornografie) strafbaren Handlungen, insbesondere auch des blossen Besitzes von Pornografie, führen und damit weit übers Ziel hinausschiessen. Zudem ist der Begriff "Kinder vor der Pubertät" unzweckmässig. Dass sich das Opfer zum Zeitpunkt der Tat in der Vorpubertät befand, lässt sich Jahre später nur schwer beweisen. Weiter hätte die Anwendung dieses Kriteriums eine drastische Ungleichbehandlung der Opfer zur Folge, weil die Pubertät je nach Geschlecht und Individuum zu einem höchst unterschiedlichen Zeitpunkt eintritt.

Unverjährbarkeit dient nicht der Sache des Kindesschutzes

Die Verjährung verhindert, dass Jahrzehnte nach der Begehung von Straftaten Prozesse eröffnet werden, d. h. zu einem Zeitpunkt, wo die Wahrheitssuche unmöglich geworden ist. Unauffindbare oder verstorbene Zeugen, ein nachlassendes Erinnerungsvermögen und vernichtete oder nicht vorhandene Beweise erschweren oder verunmöglichen eine zuverlässige Feststellung der Tatsachen. Die Häufung von Justizirrtümern würde der Glaubwürdigkeit und der Sache des Kindesschutzes schaden. Schliesslich könnte ein Freispruch nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" eine erneute Traumatisierung des Opfers zur Folge haben. 

Die Verjährbarkeit gehört zu den Grundpfeilern des Strafrechts. Die Unverjährbarkeit muss sich auf schwerste Verbrechen beschränken, wo das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nie erlischt, wie z. B. bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder schwersten terroristischen Straftaten. Es wäre unverhältnismässig, aus Verletzungen der sexuellen Integrität von Kindern unverjährbare Straftaten zu machen.

Aus all diesen Gründen wird der Bundesrat dem Parlament die Ablehnung der Volksinitiative beantragen. Er will aber mit einem indirekten Gegenvorschlag das Anliegen eines verstärkten Kindesschutzes berücksichtigen. Er hat das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, eine entsprechende Botschaft auszuarbeiten.


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Letzte Änderung 30.01.2024

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