Chronologie der politischen Aufarbeitung

1980er Jahre

Aufarbeitung der Aktion "Kinder der Landstrasse"

Ab den 1980er Jahren beginnt auf Bundesebene die politische Aufarbeitung des Schicksals der zwangsplatzierten jenischen Kinder (Aktion "Kinder der Landstrasse"). Wichtige Etappen sind dabei die Entschuldigung des Bundespräsidenten Alphons Egli vom 3. Juni 1986, eine vom Parlament angeordnete Untersuchung über das "Hilfswerk", die Unterstützung der Betroffenen bei der Aktensuche sowie finanzielle Entschädigungen an die Opfer in der Höhe von insgesamt 11 Millionen Franken an 2200 Betroffene.  


Ab den 1990er Jahren

Politische Vorstösse im Bundesparlament

Ab Ende der 1990er Jahre fordern verschiedene parlamentarische Vorstösse eine Untersuchung und Aufarbeitung der Thematik der FSZM oder einzelner ihrer Aspekte. Die ersten Vorstösse sind jedoch ohne Erfolg, auf ein bereits ausgearbeitetes Gesetz für die Rehabilitierung Zwangssterilisierter treten die Räte beispielsweise nicht ein. Erst ab Mitte der 2000er Jahre finden sich erstmals Mehrheiten zugunsten einer Aufarbeitung.


2010

Gedenkanlass für die Opfer von administrativen Versorgungen und die Bitte um Entschuldigung

Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf sowie Vertretungen von Kantonen bitten am 10. September 2010 bei einem Gedenkanlass in der Anstalt Hindelbank um Entschuldigung für das Unrecht und Leid, das den administrativ versorgten Personen angetan wurde.


2013

Bezeichnung kantonaler Anlaufstellen

Die Konferenz der kantonalen SozialdirektorInnen (SODK) empfiehlt den Kantonen am 26. Februar 2013, Anlaufstellen bei der Opferhilfe zu bezeichnen, welche die Opfer bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte unterstützen sollen. Auch die kantonalen Staatsarchive richten, koordiniert durch die Archivdirektorenkonferenz (ADK) Kontaktstellen zur Unterstützung der Betroffenen bei der Aktensuche ein.


Nationaler Gedenkanlass und offizielle Entschuldigung

Am 11. April 2013 findet in Bern ein nationaler Gedenkanlass für alle Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen statt (Verding- und Heimkinder, administrativ Versorgte, Opfer von Zwangssterilisationen und Zwangsadoptionen sowie von Medikamentenversuchen). Bundesrätin Simonetta Sommaruga sowie Vertretungen von Kantonen, Kirchen und Verbänden richten eine Bitte um Entschuldigung an die Opfer.


Einsetzung eines Runden Tisches

Im Juni 2013 setzt Bundesrätin Sommaruga einen Runden Tisch unter der Leitung des von ihr ernannten ersten Delegierten Altregierungsrat und -ständerat Hansruedi Stadler ein. Daran nehmen sowohl betroffene Personen und Vertretungen von Betroffenenorganisationen wie auch Behörden, Institutionen und Organisationen teil. Der Runde Tisch hat den Auftrag, eine umfassende Aufarbeitung vorzubereiten, Massnahmen in die Wege zu leiten und zu begleiten. Ab Oktober 2013 geht die Funktion des Delegierten an den Stv. Direktor des Bundesamts für Justiz, Luzius Mader über.

  • Runder Tisch

    Delegierter für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen


Verabschiedung des Gesetzes über die Rehabilitierung administrativ Versorgter

Am 6. September 2013 verabschiedet das Parlament das Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen. Es beinhaltet die Anerkennung des Unrechts an administrativ versorgten Menschen, sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung, die Archivierung und Akteneinsichtsrechte. Finanzielle Leistungen werden ausdrücklich ausgeschlossen. Das Gesetz tritt am 1. August 2014 in Kraft.


2014

Schaffung eines Soforthilfefonds

Auf Initiative des Runden Tisches wird am 15. April 2014 ein Soforthilfefonds geschaffen: Opfer, die sich in einer finanziellen Notlage befinden, können finanzielle Soforthilfen erhalten (einmalige Beiträge in der Höhe zwischen 4000 und 12 000 Franken). Der Fonds wird von der Stiftung Glückskette verwaltet und mit freiwilligen Beiträgen insbesondere der Kantone, verschiedener Städte und Gemeinden, der Kirchen sowie privaten Organisationen, Unternehmen und Personen im Umfang von 6.9 Millionen Franken finanziert.

Im Juli 2015 werden die Arbeiten des Soforthilfefonds abgeschlossen. Insgesamt 1117 Personen konnten bis dahin finanziell unterstützt werden.


Bericht und Empfehlungen des Runden Tisches

Im August 2014 publiziert der Runde Tisch einen Bericht mit Empfehlungen. Die Empfehlungen beinhalten insbesondere die Anerkennung des Unrechts, finanzielle Leistungen für die Opfer, die wissenschaftliche Aufarbeitung sowie Massnahmen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit.


Einsetzung einer Unabhängigen Expertenkommission Administrative Versorgungen

Am 5. November 2014 setzt der Bundesrat eine Unabhängige Expertenkommission (UEK) ein, welche die administrativen Versorgungen vor 1981 aufarbeiten wird. Sie berücksichtigt dabei auch die Bezüge zu anderen fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Die Forschungen werden 2015 - 2018 durchgeführt. Der Finanzrahmen des Programms beträgt 10 Millionen Franken.


Einreichen einer Volksinitiative zur Wiedergutmachung

Am 19. Dezember 2014 reicht ein überparteiliches Komitee unter der Leitung der Guido Fluri Stiftung eine Volksinitiative zur Wiedergutmachung ein. Sie fordert insbesondere die Schaffung eines mit 500 Millionen Franken dotierten Fonds für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen sowie eine wissenschaftliche Aufarbeitung.


2015

Bundesrätlicher Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative: Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG)

Am 24. Juni 2015 legt der Bundesrat einen Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative vor. Die Gesetzesvorlage sieht die Anerkennung des geschehenen Unrechts, die Ausrichtung von finanziellen Leistungen an Opfer in der Grössenordnung von insgesamt bis zu 250 - 300 Millionen Franken vor. Zudem sollen die Akten gesichert und die Akteneinsicht für die Betroffenen geregelt werden.

Nach Durchführung des Vernehmlassungsverfahrens unterbreitet der Bundesrat dem Parlament am 4. Dezember 2015 die Botschaft zur Volksinitiative "Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen (Wiedergutmachungsinitiative)" und zum indirekten Gegenvorschlag zur Initiative (Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981).

Das Parlament diskutiert den Gegenvorschlag und verabschiedet schliesslich am 30. September 2016 das AFZFG mit deutlicher Mehrheit.


2016

Herausgabe einer Sonderbriefmarke

Auf Initiative des Runden Tisches widmet die Post den Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen am 8. September 2016 eine Sonderbriefmarke mit einem 50-Rappen Zuschlag. Die Zusatzeinnahmen fliessen in den Soforthilfefonds.


2017

Lancierung des Nationalen Forschungsprogramms 76 "Fürsorge und Zwang"

Der Bundesrat beauftragt den Schweizerischen Nationalfonds SNF am 22. Februar 2017 mit dem Nationalen Forschungsprogramm "Fürsorge und Zwang – Geschichte, Gegenwart, Zukunft" (NFP 76).

Die Forschungen werden von 2018 bis 2023 durchgeführt und umfassen 29 Projekte. Der Finanzrahmen des Programms beträgt 18 Millionen Franken.


Inkrafttreten des AFZFG

Das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) tritt am 1. April 2017 in Kraft. Dieses umfasst

  • die Ausrichtung eines Solidaritätsbeitrages von 25 000 Franken pro Opfer;
  • die Beratung und Unterstützung von Opfern und anderen Betroffenen durch kantonale Anlaufstellen und Archive;
  • weitere Fördermassnahmen zugunsten der Opfer (insbesondere Selbsthilfeprojekte);
  • die wissenschaftliche Aufarbeitung der Thematik.

Zuständig für die Umsetzung des AFZFG ist das Bundesamt für Justiz. Der zuständige Fachbereich wird bei der Bearbeitung der Gesuche um einen Solidaritätsbeitrag durch eine Beratende Kommission unterstützt. 


2018

Auflösung des Runden Tisches

Mit der Schaffung des AFZFG ist der wichtigste Zweck des Runden Tisches erfüllt. Am 8. Februar 2018 findet die letzte Sitzung statt und der Runde Tisch wird aufgelöst. Am 17. Mai 2018 würdigt Bundesrätin Simonetta Sommaruga dessen Arbeiten anlässlich eines Abschlusstreffens.


(Vorläufiger) Ablauf der Frist für Gesuche um Solidaritätsbeiträge

Am 31. März 2018 endet gemäss AFZFG die Frist zur Einreichung von Gesuchen um Solidaritätsbeiträge. Rund 9000 Gesuche wurden beim Bundesamt für Justiz rechtzeitig eingereicht. Davon konnten 8690 Gesuche gutgeheissen und Zahlungen in der Höhe von insgesamt gut 217 Millionen Franken ausgerichtet werden.


2019

Publikation der Ergebnisse der UEK

Am 2. September 2019 veröffentlicht die UEK Administrative Versorgungen ihre Ergebnisse in 10 Bänden. Die wissenschaftlichen Resultate verdeutlichen, dass es sich um ein Phänomen von grosser Tragweite handelte. Im 20. Jahrhundert sperrten Behörden schweizweit mindestens 60 000 Menschen, ohne dass diese ein Delikt begangen haben und ohne Gerichtsverfahren, in mindestens 648 Anstalten weg.

Die UEK wird anschliessend aufgelöst.


2020

Aufhebung der Frist für Gesuche um Solidaritätsbeiträge

Das Parlament beschliesst am 19. Juni 2020 die Aufhebung der Frist zur Einreichung von Gesuchen um Solidaritätsbeiträge. Es nimmt damit eine Forderung der Opfer auf, dass Solidaritätsbeiträge unbefristet ausgerichtet werden sollen. Die Fristaufhebung tritt am 1. November 2020 in Kraft. Damit haben betroffene Personen nun zeitlebens die Möglichkeit, ein Gesuch einzureichen.


2022 - 2024

Publikation der Ergebnisse des NFP 76 "Fürsorge und Zwang"

Die Veröffentlichung und Bekanntmachung der Ergebnisse des Nationales Forschungsprogramms 76 "Fürsorge und Zwang" ist zwischen 2022 und 2024 vorgesehen.

Letzte Änderung 18.08.2022

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