"Handlungsbedarf bei der Zuwanderung"

Schaffhauser Nachrichten, Anna Kappeler
Schaffhauser Nachrichten: "Im Mittelpunkt des gestrigen Besuches von Bundesrätin Sommaruga stand das Thema Integration. Die Magistratin über ihre damit verbundenen Erwartungen, den Dauerbrenner Zuwanderung und das Beste am Bundesratsein."

Frau Bundesrätin, kann die Integration in unsere Gesellschaft theoretisch bei jedem Menschen gelingen?
Integration kann nur gelingen, wenn das Engagement von allen Seiten kommt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Berufsschulklasse, die ich in Schaffhausen besucht habe. Es zeigt, dass Integration erfolgreich verlaufen kann, wenn sich die Schule in einem konkreten Projekt gemeinsam mit allen Betroffenen dafür engagiert. Und Sprache ist sicher eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Integration.

Gewisse Ethnien und Nationalitäten integrieren sich kaum und bleiben oft unter sich. Dennoch spricht man bei Integrationsproblemen selten von ihnen. Warum?
Integration ist nicht von einer bestimmten Ethnie oder Nationalität abhängig.

Kaum problematisiert werden die Expats, von denen es in Schaffhausen viele gibt. Oft sprechen sie keine Landessprache und schicken ihre Kinder in spezielle Expat-Schulen. Gelten hier zwei unterschiedliche Massstäbe?
Nein. Ich erwarte von allen Menschen, die länger in unserem Land leben, dass sie sich integrieren und sich bemühen, eine unserer Landessprachen zu lernen. Gerade von einem CEO einer grossen Firma erwarte ich das zum Beispiel. Schliesslich hat er eine Vorbildfunktion.

Was ist mit dem Angestellten, der oft nur Englisch spricht?
Ich habe diese Erwartung an alle, die länger in unserem Land bleiben wollen. Die Schweiz ist ein kleines Land mit verschiedenen Kulturen und Sprachen. Bei uns gelingt das Zusammenleben dann gut, wenn sich alle aufeinander zubewegen. Dafür ist die Sprache oft das wichtigste Instrument.

Die SVP kündigte kürzlich Opposition gegen die geplanten Integrationsmassnahmen des Bundes an. Dies sei nicht Aufgabe des Staates. Was entgegnen Sie?
Der Bundesrat hat das entsprechende Gesetz verabschiedet, es wird nun im Parlament beraten. Ich stelle fest, dass man gerade in der Wirtschaft die Bedeutung der Integration sehr gut verstanden hat. Ein Beispiel: Der Baumeisterverband bietet freiwillig und von sich aus Deutschkurse auf Baustellen an. Er hat ein Interesse daran, dass die ausländischen Arbeitskräfte langfristig gut im Arbeitsmarkt integriert sind, sich wohlfühlen und eine Landessprache beherrschen. Die Wirtschaft hat eine Verantwortung wahrzunehmen. Sie ist sich bewusst, dass Integration für ein Zusammenleben in unserem Land ganz wichtig ist.

Die Kritik der SVP ist also unbegründet?
Ja.

Gerade im Asylwesen ist die Integration häufig ein Thema, zuletzt im Fall Bremgarten. Sind Sie hier etwas über das Ziel hinausgeschossen?
In Bremgarten hat es vor allem viele Missverständnisse gegeben. Jetzt ist die Ausgangslage für alle klar.

Auch auf dem Arbeitsmarkt ist die Zuwanderung ein grosses Thema. Im Mai wurde die Ventilklausel angerufen. Ihnen wurde vorgeworfen, diese ändere nicht viel. Wie stehen Sie heute dazu?
Um eine Bilanz zu ziehen, ist es jetzt noch viel zu früh.

Erwarten Sie, dass sich die Zuwanderung in der Schweiz im gleichen Mass wie bis anhin fortsetzt?
Die letzten 50 Jahre zeigen: Immer, wenn es der Wirtschaft gut ging, war die Zuwanderung hoch, brauchte die Wirtschaft weniger Arbeitskräfte, ging die Zuwanderung zurück. Das war mit dem früheren Kontingentsystem so, und das ist auch jetzt mit der Personenfreizügigkeit so.

Trotzdem wächst der Unmut der Bevölkerung über die Zuwanderung. Wie wollen Sie angesichts dessen Abstimmungen über die Masseneinwanderungs- oder die Ecopop-Initiative gewinnen?
Ja, es gibt einen Unmut in der Bevölkerung. Gleichzeitig aber dürfen wir die Urteilsfähigkeit der Stimmberechtigten nicht unterschätzen. Sie können sehr gut unterscheiden, dass die Wirtschaft auf der einen Seite von der Zuwanderung profitiert – und dass die Zuwanderung auf der anderen Seite auch weniger angenehme Seiten haben kann. Hier sind der Bund, die Städte, die Kantone und die Arbeitgeber gefordert. Wir müssen unsere Landschaft besser schützen, die Infrastruktur ausbauen und dafür sorgen, dass die Mieten bezahlbar bleiben. Der Bundesrat sieht hier durchaus Handlungsbedarf. Die Masseneinwanderungs-Initiative löst die Probleme nicht.

Was, wenn sie angenommen wird?
Die Bevölkerung hat bereits viermal Ja gesagt zur Personenfreizügigkeit. Sie hat auch dem bilateralen Weg stets zugestimmt. Ich bin zuversichtlich, dass die Bevölkerung diesen erfolgreichen Weg nicht einfach so verlassen wird.

Gerade in Bezug auf die Personenfreizügigkeit mit Kroatien ist die Bevölkerung skeptisch.
Die Personenfreizügigkeit ist ein Kernstück der EU und gilt für alle Mitgliedstaaten. Kommt ein neuer Staat hinzu, wie zum Beispiel am 1. Juli Kroatien als 28. EU-Staat, verhandelt die Schweiz mit der EU über die Bedingungen der Ausweitung. Der Bundesrat wird das Verhandlungsergebnis über die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien ins Parlament bringen, und wenn das Referendum ergriffen wird, werden wir darüber abstimmen können. Bei den letzten beiden Abstimmungen zu Erweiterungen, nämlich zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die osteuropäischen Staaten und zur Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien, hat die Bevölkerung beide Male mit komfortablem Mehr Ja gesagt.

Zuletzt waren Sie oft Kritik ausgesetzt – auch von Ihrer eigenen Partei. Vom Unangenehmen abgesehen: Was eigentlich ist das Beste am Bundesratsein?
(lacht) Wenn man mit Kritik nicht umgehen kann, sollte man besser nicht Bundesrätin werden. Mit meiner Partei teile ich die gleichen Werte, wir sind uns aber auch unserer unterschiedlichen Rollen bewusst. Und das Schönste am Bundesrätinsein ist, dass ich einen wichtigen Beitrag für Dinge leisten kann, die mir wichtig sind: Ich kann zum Beispiel daran mitarbeiten, dass wir eine glaubwürdige Asylpolitik verfolgen, welche sicherstellt, dass schutzbedürftige Menschen auch Schutz bekommen.

Die Abschaffung des Botschaftsasyls bei der letzten Abstimmung kritisierte die SP.
In der Schweizer Politik macht – Gott sei Dank – nicht einfach jemand die Vorgaben und alle anderen spuren. Wir müssen uns immer wieder zusammenraufen.

Letzte Änderung 23.08.2013

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