«Das neue Waffenrecht ist im Interesse der Schützen»

Blick, Christian Dorer und Sermîn Faki
Blick: "Am 19. Mai stimmt die Schweiz über ein verschärftes Waffenrecht ab. Es ist der erste Abstimmungskampf für die neue Justizministerin Karin Keller-Sutter. Die Bundesrätin stellt sich im Live-Talk den Fragen der BLICK-Leserinnen und -Leser!"

 

(Kurzfassung des Live-Talks)

 

Keine vier Monate im Amt, muss Justizministerin Karin Keller-Sutter (55) bereits die Feuertaufe bestehen: In einem sehr emotionalen Abstimmungskampf muss sie gegen Schützen und Offiziere für eine Verschärfung des Waffenrechts weibeln. Doch wie der BLICK-Live-Talk zeigte, hat sie keine Eingewöhnungsprobleme im neuen Job. Während des Interviews und beim Rundgang durch den BLICK-Newsroom ist sie souverän und zugänglich.

Frau Bundesrätin, der Abstimmungskampf ums neue Waffenrecht ist heftig. Kampagnenleiter sagen, die Aggressivität habe ein neues Niveau erreicht. Wie erleben Sie das?
Harte Abstimmungskämpfe gehören in der Schweiz zur Tradition. Manchmal sind sie nüchterner, manchmal emotionaler. Und vielleicht gibt es auch mal eine Entgleisung. Aber das ist nachher wieder vorbei.

Warum bewegt das Thema Waffen viele Menschen so sehr?
Waffen sind in unserer Tradition stark verankert: In den Schützenvereinen wird ein Zusammenhalt gepflegt, der über das Schiessen hinausgeht. Und schon immer konnten Soldaten die Waffe nach der Armeezeit mit nach Hause nehmen. Das wird sich übrigens auch mit neuem Gesetz nicht ändern.

Verstehen Sie den Widerstand der Schützen?
Als ich das erste Mal im Radio von der Verschärfung gehört habe, war die Rede von einem kompletten Verbot halbautomatischer Waffen, von Psychotests und Vereinszwang. Meine erste Reaktion war: Das kann man nicht machen. Aber seitdem ist viel passiert: Jetzt sind die Änderungen geringfügig und zumutbar. Vor allem, wenn man sieht, dass wir so im Sicherheitsraum Schengen/Dublin bleiben können. Das ist ein zentraler Pfeiler unserer inneren Sicherheit. Es ist auch im Interesse der Schützen, dass diejenigen schiessen, die schiessen dürfen, und dass wir gemeinsam die Sicherheit der Schweiz gewährleisten.

Heute hat jeder das Recht, eine halbautomatische Waffe zu besitzen, neu ist das prinzipiell verboten. Das beendet doch die freiheitliche Tradition.
Nein. Schon heute sagt das Waffengesetz, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, eine Waffe zu erwerben und zu besitzen – aber er muss gewisse Voraussetzungen erfüllen.

Leserin Anita H.: Haben Sie eigentlich schon selbst einmal geschossen?
Ja, ich habe einen Pistolenschützenkurs besucht. Ich habe sehr gern geschossen.

Und auch getroffen?
Ja! Mit dem Sturmgewehr allerdings nicht – ich bin ein bisschen kurzsichtig. Aber auf die 50 Meter ist es gut gegangen.

Leser Christoph Allenbach: Haben Sie wirklich die Hoffnung, dass es dank des neuen EU-Waffenrechts weniger Terroranschläge gibt?
Nein, das glaube ich nicht, da müssen wir ehrlich sein. Aber man muss nicht nur das Waffenrecht anschauen, sondern das ganze Schengen-Sicherheitssystem. Und es geht nicht nur um Terroristen. Es gibt auch gewöhnliche Kriminelle, die wir in der Schweiz nicht wollen.

Sie behaupten, wir würden aus dem Schengen-Raum fliegen, wenn wir nicht Ja sagen. Die Gegner sagen, dass die EU uns nicht rauswerfen wird. Was gilt?
Sagen wir jetzt nicht Ja, müssen wir uns innerhalb von 90 Tagen mit der EU-Kommission und allen Mitgliedsstaaten auf eine Lösung einigen. Das ist sehr schwierig. Erstens, weil wir bereits Ausnahmen bekommen haben und zweitens wegen der politischen Grosswetterlage mit dem Brexit. Im Umgang mit den Briten kann jeder sehen: Die EU-Staaten geben nicht nach, sondern beharren auf ihren Grundsätzen. Meine nüchterne Beurteilung ist: Sie werden darauf pochen, dass sich die Schweiz an den Vertrag hält – oder sich verabschiedet.

Leser Philipp Ammann: Was passiert in ein paar Jahren, wenn die EU das Recht wieder verschärft?
Eine wichtige Frage. In der EU-Richtlinie heisst es, dass das Waffenrecht periodisch überprüft wird. Aber wir müssen Änderungen nicht automatisch übernehmen. Sonst würden wir ja jetzt nicht abstimmen. Wenn es eine Änderung gibt, sitzt die Schweiz wieder am Verhandlungstisch. Und dann müssten hierzulande auch Parlament und – bei einem Referendum – Volk Ja sagen.

Ein Nein am 19. Mai hätte auch Auswirkungen auf das Asylwesen. Nebst Schengen würde das Dublin-Abkommen gekündigt, das regelt, dass ein Asylbewerber nur in einem Mitgliedsstaat ein Asylgesuch stellen darf. Was würde das konkret bedeuten?
Es hätte gravierende Auswirkungen auf unser Asylsystem. Wir würden sehr attraktiv für Asylbewerber, denn jede Person, deren Gesuch in der EU abgelehnt wurde, könnte es hier noch einmal versuchen.

Das Dublin-System steht in der Kritik. Es wird bemängelt, es funktioniere gar nicht.
Es gibt sicher Mängel. Ausnahmesituationen wie die Flüchtlingskrise haben gezeigt, dass es Änderungen braucht. Ich persönlich befürworte Pläne, dass man den Schutz der Aussengrenzen des Schengen- und Dublin-Raums verstärkt und dort die Asylverfahren durchführt. Nur wer schutzbedürftig ist, dürfte einreisen.

Das ist eine bequeme Lösung für ein Land wie die Schweiz, das keine Aussengrenzen hat.
Nein, ich bin der Meinung, dass die Schweiz etwas beisteuern sollte. Die EU hat den Ausbau der Grenz- und Küstenwache auf 10 000 Mann beschlossen. Kommt das, sollte sich die Schweiz daran beteiligen – mit Personal und Geld. Denn dank Schengen/Dublin sparen wir auch: Die Schweiz zahlt pro Jahr 53 Millionen Franken für Schengen. Allein im Asylbereich, also dank Dublin, sparen wir 270 Millionen, weil wir Asylbewerber in andere Staaten zurückschicken können. Dazu kommen weitere Ersparnisse, etwa im Bereich Tourismus.

Was wäre der Preis einer Schengen-Kündigung für den Tourismus?
Heute gilt ein Schengen-Visum auch für die Schweiz, wovon wir profitieren. Müssten all die asiatischen Reisegruppen ein separates Visum lösen, wäre das eine grosse Hürde. Dabei haben wir gerade aus Asien sehr viele zahlungskräftige Touristen.

Aber die Schweiz könnte ja einfach einseitig bestimmen, dass das Schengen-Visum weiterhin gilt.
Da fände ich als Justizministerin gar keine gute Idee! Wer öffnet die Tür seines Hauses, ohne zu wissen, wer reinkommt? Wir würden an der Grenze zwar einen Pass sehen mit einem Visum, aber wüssten nicht, ob es abgelaufen ist – denn das läuft alles elektronisch. Das wäre ein grosses Risiko.

Letzte Änderung 18.04.2019

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