Den Religionsfrieden bewahren; Abstimmung vom 29. November 2009 über die Minarett-Initiative
Bern, 15.10.2009 - Die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" steht in Widerspruch zu zentralen Menschenrechten und gefährdet den Religionsfrieden. Sie ist kein taugliches Mittel, um gegen den religiösen Extremismus vorzugehen, sondern droht vielmehr religiösen Fanatikern Auftrieb zu verschaffen. Dies hat Bundesrätin Eveline Widmer Schlumpf am Donnerstag an einer Medienkonferenz in Bern betont. Auch der Neuenburger Staatsrat Jean Studer und Pfarrer Thomas Wipf, Vorsitzender des Schweizerischen Rates der Religionen, riefen dazu auf, den Religionsfrieden zu bewahren und die Volksinitiative abzulehnen.
Am 29. November stimmen Volk und Stände über die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" ab. Ein Bauverbot für Minarette stünde in klarem Widerspruch zu zentralen Werten unseres Staates und zu grundlegenden Prinzipien und Rechten unserer Bundesverfassung, unterstrich die Vorsteherin des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD). Die Religionsfreiheit schütze nicht nur die innere religiöse Überzeugung, sondern auch die Bekundung des Glaubens nach aussen. Dazu gehöre unter anderem die Errichtung religiöser Bauten.
Ein Bauverbot für Minarette würde die Religionsfreiheit in diskriminierender Weise einschränken, da einzig die Musliminnen und Muslime in der Schweiz davon betroffen wären. Alle anderen Religionsgemeinschaften könnten ihre Bauten dagegen weiterhin errichten, führte Bundesrätin Widmer Schlumpf weiter aus. Ein solches Bauverbot würde ferner gegen grundlegende, die Schweiz bindende Menschenrechtsabkommen verstossen. Es schaffe neue Probleme, ohne ein einziges bestehendes Problem zu lösen.
Errungenschaft nicht leichtfertig aus Spiel setzen
"Wir fordern von den Musliminnen und Muslimen in der Schweiz, dass sie unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung respektieren", sagte die EJPD-Vorsteherin weiter. Niemand könne religiöse Vorschriften anrufen, um sich staatlichen Pflichten zu entziehen oder Verbote zu missachten. „Wenn wir dies von den Musliminnen und Muslimen verlangen, müssen wir sie aber auch mit Bezug auf die Religionsfreiheit gleich behandeln wie alle anderen Bewohner unseres Landes und dürfen sie nicht bei der Ausübung ihrer Religion diskriminieren.“ Das sei der Kern der Religionsfreiheit, die den Religionsfrieden in der Schweiz erst möglich mache. Diese Errungenschaft dürften wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, betonte Bundesrätin Widmer-Schlumpf.
Die ganz grosse Mehrheit der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz akzeptiere unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung vorbehaltlos, stellte Bundesrätin Widmer Schlumpf fest. Gegen fundamentalistische Extremisten könnten Bund und Kantone wirksam vorgehen. Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit ermögliche es dem Bund, Gefahren frühzeitig zu erkennen. Und die Behörden könnten Ausländern, die unsere Staatsordnung missachteten, die Einreise verweigern oder sie ausweisen. Ein Bauverbot für Minarette würde dagegen dem religiösen Fanatismus keinen Riegel schieben, sondern könnte im Gegenteil religiösen Fanatikern Auftrieb verschaffen.
Bewährte Aufteilung der Kompetenzen
Minarette könnten nicht überall errichtet werden, sondern müssten die Auflagen des Raumplanungsrechts sowie des kantonalen und kommunalen Baurechts erfüllen, stellte der Neuenburger Staatsrat Jean Studer klar. Aufgrund ihrer Nähe seien die kantonalen und kommunalen Behörden am besten in der Lage, im Zusammenhang mit der Errichtung von Minaretten nuancierte und den lokalen Gegebenheiten angepasste Lösungen umzusetzen. Es gebe keinen stichhaltigen Grund, von dieser bewährten Aufteilung der Kompetenzen abzuweichen.
Der Neuenburger Staatsrat wies darauf hin, dass der Zusammenhalt der Schweiz auf drei Pfeilern gründe, die im Lauf der Jahrhunderte errichtet worden seien: der politischen Stabilität, dem Arbeitsfrieden und dem Religionsfrieden. Er warnte davor, den dritten Pfeiler durch die Ablehnung einer Religionsgemeinschaft zu beeinträchtigen.
Eine neue Herausforderung
Kulturelle und religiöse Vielfalt gehörten zur Identität der Schweiz, erinnerte Pfarrer Thomas Wipf, Vorsitzender des Schweizerischen Rates der Religionen. Die Regeln des friedlichen Zusammenlebens seien in einer langen Geschichte ausgehandelt worden. Die Integration der islamischen Glaubensgemeinschaft in die schweizerische Gesellschaft sei eine neue Herausforderung. Aber aus ihrer Geschichte kenne die Schweiz solche Herausforderungen, so Wipf, und sie sei immer gestärkt aus solchen Erfahrungen hervorgegangen.
Die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" zeige, dass es in der Bevölkerung ernst zu nehmende Fragen, Unsicherheiten und Ängste gebe: Welche Botschaft wird in den Moscheen gepredigt? Welche Bedeutung haben aus islamischer Sicht die Demokratie, der Rechtsstaat, die Gleichstellung von Mann und Frau? Solche Fragen müssten offen diskutiert werden, forderte Pfarrer Wipf. Doch die Volksinitiative sei kontraproduktiv, da sie den Dialog verhindere, statt ihn zu fördern.
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Letzte Änderung 06.06.2024